Die Verdatung der Welt oder Geschichte des Datenschutzes

Es ist unübersehbar, dass in den vergangenen 15 Jahren einige Unternehmen milliardenschwer geworden sind, welche den vertrauensvollen Umgang mit den ihnen anvertrauten Daten nicht so strikt sehen, wie sie. Rechtlich haben sich diese Unternehmen abgesichert, denn die Einwilligung der betroffenen Person galt ihnen nach amerikanischem Recht als Freipass für jegliches Tun. Take it or leave it?

Nicht ganz zufällig fällt diese Entwicklung in eine Zeit des radikalen technischen und sozialen Umbruchs, welchen es in der Menschheitsgeschichte so noch nie gab! Ein wesentlicher Faktor dieser Entwicklungen liegt in der umfangreichen und exponentiell beschleunigten Verdatung unserer Welt. Diese Verdatung erfolgt jedoch nicht erst seit den Anfängen der Digitalisierung der Gesellschaft seit nun 20, 30 Jahren!

Nachfolgend möchte ich Sie kurz mit der Geschichte der Verdatung vertraut machen. Den Gedankengang habe ich der Wissenssoziologie entlehnt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die Menschheit auf dem Weg zu einem Super-Organismus ist, wie es der australische Biologe Tim Flannery formuliert. Das starke Wachstum und die datengetriebene Kooperation wären starke Argumente für diese These!

Pharaonen als Datensammler

Schon im frühdynastischen Ägypten – also ca. 3’000 Jahre vor Chr. – sammelten die zentralistisch und hierarchisch organisierten Beamten fleissig Daten über die Untertanen. Notwendig waren solche Informationen, um für den König, seinen Hofstaat und seine Statthalter Real-Steuern eintreiben, sowie ein Heer und Arbeitseinsätze organisieren zu können.

Die schriftliche Fixierung solcher Informationen war gleichzeitig die Basis einer planenden und kontrollierenden Verwaltung mit entsprechend hierarchisch organisierten Abläufen und Kontrollen. Ein wesentlicher Bestandteil des Erfolges der altägyptischen und allen nachfolgenden Hochkulturen dürfte in der gezielte Verdatung der Welt und der Weiterbearbeitung liegen.

Mittelalter, Aufklärung und Neuzeit

Durch den Niedergang des West-Römischen Reiches (480 nach Christus) waren in Europa zahlreiche Errungenschaften der Antike weitgehend verloren gegangen, darunter auch deren bürokratische Organisation. Das „dunkle Mittelalter“ ist vor allem eine – für die historische Forschung – relativ datenarme Zeit.

Im 16. und 17. Jahrhundert entstanden in Europa die modernen Territorial- und Nationalstaaten. Neben der stark hierarchisch organisierten Kirche begannen nun auch staatliche Organisationen wieder systematisch Daten zu sammeln. Primär über die Bevölkerung, um das militärische Potential festzustellen, die staatliche Finanzierung (Steuern und Abgaben) zu sichern und potentielle Märkte (Merkantilismus) zu erschliessen. Sie erahnen es, diese umfangreiche Verdatung ist seither ungebrochen!

Neuzeit

Mit der Anerkennung der Grundrechte in der US-amerikanischen Bill of Rights 1789 und in der französischen Verfassung von 1791 – festigte im angehenden 19. Jahrhundert das moderne Bürgertum den Anspruch auf Selbstbestimmung und damit auch den Schutz der Privatsphäre.
Gleichzeitig aber sammelte der Staat für die rationale, administrative Planung sowie zur Machterhaltung im grossen Stil Daten über die infolge der Industrialisierung und Urbanisierung verarmende Bevölkerung. Zur Verdeutlichung: in London lebten Mitte des 19. Jahrhunderts 30% in bitterer Armut. Charles Dickens beschrieb in „Oliver Twist“ diese beklemmenden Zustände eindringlich.

Das Post- oder das Amtsgeheimnis stellten einen frühen Schutz der Privatsphäre dar. Dementsprechend gewährleistete Art. 33 Abs. 3 der ersten schweizerischen Bundesverfassung von 1848 ausdrücklich die Unverletzbarkeit des Postgeheimnisses.

Die Idee eines „Schutzes der privaten Daten“ entwickelten 1890 jedoch die beiden Juristen und Harvard-Absolventen Warren und Brandeis in ihrem Buch „Right to Privacy“. Sie postulierten, dass jedem Individuum das unabdingbare Recht zustehe, selbst zu bestimmen, inwieweit seine Gedanken, Meinungen und Gefühle anderen mitgeteilt werden sollten. Wir kennen dieses Prinzip noch heute als „Informationelle Selbstbestimmung“.

20. Jahrhundert

Es dauerte dann erneut – sagenhafte – 80 Jahre, bis das weltweit erste formelle Datenschutzgesetz im Jahr 1970 in Kraft trat (hessisches Datenschutzgesetz). Dieses regelte – ganz im Sinne der demokratischen Kontrolle des Staates – ausschliesslich die Bearbeitung von personenbezogenen Daten durch die öffentliche Verwaltung. Sieben Jahre später trat das deutsche Bundesdatenschutzgesetz in Kraft, welches auch datenbearbeitende Private in die Pflicht nahm. Gleichzeitig übrigens mit dem Datenschutzgesetz des Kantons Genf. Es dauert noch einmal 15 Jahre, bis sich auch die Rest-Schweiz im Jahr 1992 ein einheitliches Datenschutzgesetz gönnte! Dies vermutlich auch beschleunigt durch den Vertrauensverlust, den der Fichenskandal im November 1989 in der Schweiz auslöste. Sie erinnern sich: bundes- und kantonale Behörden hatten über Jahrzehnte weitgehend unkontrolliert rund 900’000 Fichen über uns Bürger angelegt. Seit dem Jahr 2017 sind wir nun daran, unser schweizerisches Datenschutzgesetz an die Realitäten anzupassen. Man diskutiert…

Nun, weshalb habe ich Sie auf diese lange historische Reise genommen? Der Grund liegt darin, dass in den vergangenen 20 Jahren Datensammlerei – zumindest in den westlich geprägten Demokratien – sich das Gefährdungspotential vom Staat weg zu globalen Grossunternehmen hin bewegt hat. Im wesentlichen hat man GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple) im Visier – alles US-amerikanische Unternehmen, die lange vom weitgehend fehlenden kodifizierten US-Daten schutzrecht profitierten.

GAFA und Netflix, Baido, Alibaba und Co. wissen über Sie um Faktoren mehr, als jede bekannte politische Behörde (NSA vielleicht ausgenommen). Denn das ist deren Geschäftsmodell. Und das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht mehr so rasch ändern!

GAFA und Co. habe ihr Wissen zum Glück bisher kaum direkt gegen einen einzelnen Bürger eingesetzt. Aber es besteht die erhebliche Gefahr dazu, wie etwa der Cambridge Analytica-Fall oder Kooperationen mit undemokratischen Staaten zeigen.

Mein – und vermutlich auch Ihr – Staatsverständnis ist jedoch unmittelbar tangiert, wenn staatliche Institutionen uns nicht mehr vor realen Gefahren schützen können. In den vergangenen 20 Jahren war das bezüglich personenbezogenen Daten und deren Missbrauch sicher der Fall! Wir haben unter konstanter Verletzung unserer Persönlichkeitsrechte eindrücklich erlebt, wie „Wissen ist Macht“ zu „Daten machen Einzelne reich“ mutiert ist!

Die DSGVO ist daher ein notwendiger und wichtiger Schritt, damit Bürger wieder die Hoheit über ihre Daten gewinnen! Noch mehr aber stellt die DSGVO nach fast 2 Jahrzehnten offensichtlicher „Machtlosigkeit“ den Versuch der europäischen Behörden dar, bezüglich des Datenschutzes wieder die Definitionsmacht zurückzugewinnen! Das Pendel schwingt nun notwendigerweise zurück!