Kernthesen der digitalen Transformation

Digitale Transformation verstehen

Bei der Frage, welche Kompetenzen Führungsleute und Mitarbeiter schon in naher Zukunft brauchen, ist es sinnvoll, die Geschichte bisheriger technischer Entwicklungen und deren Folgen zu verstehen. Daraus lässt sich natürlich die Zukunft der digitalen Transformation nicht in aller Klarheit extrapolieren, aber die Umrisse des seit langem von zahlreichen Zukunftsforschern angekündigte 2. Maschinenzeitalters1 wer­den dadurch erkennbarer.

Es geht um mehr als um Google, das durch unsere automatische Handy-Positionsangabe den Weg zum nächsten Restaurant kennt oder teilautonomes Fahren, welches in der automobilen Oberklasse schon fast Standard ist. Digitale disruptive Entwicklungen – welche schon vor 25 Jahren der analogen Fotogra­fie langsam das Ende brachte – zeigen sich nun in der Finanzbranche, dem Detailhandel, der Tourismus­branche, der Medienbranche, der Beratungsbranche oder im Bildungssystem – die Aufzählung ist nicht abschliessend, weil die digitale Transformation die gesamte Gesellschaft betrifft. Dabei ist diese Entwick­lung seit langem abseh­bar2 und folgt einer inneren Logik.

Nachdem sich die Menschheit während hunderten Jahren durch im­mer mehr Strassen physisch vernetzte und so den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Information (Kultur) beschleunigte, hat die Tech­nisierung (Dampfmaschine, Elektrifizierung) ab dem 18. Jahrhundert sowohl die Produktivität als auch die Allokation (Eisenbahn, Autos, Strassennetz) bis in das 20. Jahrhundert enorm (d.h. exponentiell) ver­bessert3. Schliesslich hat die Elektro- und später die Digital­technik die Verarbeitung und Verbreitung von Informationen (Telegramm, Radio, Telefon, TV und Inter­net) sich von der physischen Allokation von Gü­tern getrennt. Das macht es seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts möglich, immer mehr Information immer schneller und billiger über grosse Di­stanzen zu übermitteln. Seit 1980 wuchs die weltweite digita­le Vernetzung (Internet) exponentiell – aktuell verfügt rund die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang zum Internet4. 3.4 Milliarden (!) Smartphones sind aktuell technisch bereit, um Online-Zahlungen vornehmen zu können5, 2021 sollen es 5.3 Milliarden sein.

Mit der Mechanisierung konnte die Menschheit die begrenzte körperliche Leistungsfähigkeit überwin­den, mit der Computerisierung die begrenzte menschliche Re­chenkraft. Dabei spielt künftig die automa­tische Mustererkennung aus unstrukturierten Daten und entsprechendes Ableiten von Regeln („Künstli­che Intelligenz“) eine herausragende Rolle6. Weltweit verteiltes Expertenwissen (analog, digital) lässt sich zunehmend sinnvoll strukturieren und digital weiter verarbeiten. Die Vernetzung der Experten führt zu einer weiteren Beschleunigung in den Wissenschaften.

Wirtschaftliche Prozesse (z.B. wann muss wo was produziert/verkauft werden) lassen sich so nochmals erheblich optimieren und zahlreiche neue Dienstleistungen können entstehen. Der Grund dafür liegt in der rapide wachsenden Datenmenge, welche zur intelligenten Analyse zur Verfügung steht. Die KI-Tech­nologie steht dabei nicht nur Grossunternehmen wie IBM zur Verfügung, die mit WATSON künftig Ärzten bei der Diagnose unterstützen will. Google und andere (IBM, Microsoft, Facebook) haben KI-Software wie Tensorflow oder Torch7 open-source zur Verfügung gestellt. Dadurch können ohne grossen finanziellen Aufwand weltweit versierte Studenten KI-Projekte entwickeln und als Dienstleistungen verkaufen. Schnelle Rechenkapazität ist durch Grafikkarten günstig zu beschaffen. Nebst den Kundendaten dienen die im Internet frei verfügbaren Daten oft als „Rohstoff“ für die „Produktion“ (Berechnung) des Endpro­duktes. Auch können Unternehmen unstrukturierte Datensätzen durch die neuen technologischen Ent­wicklungen besser analysieren und ihre Modelle iterativ verbessern („Künstliche Intelligenz“). Daraus kön­nen digitale Wertschöpfungsketten entstehen, die sich selber antreiben (mehr Daten führt zu aussage­kräfigeren Produkten, zu mehr Kunden und damit wieder zu mehr Daten).

Daraus lassen sich bereits wichtige Erkenntnisse für die Entwicklungen in naher Zukunft ableiten:

  • Die Wahrnehmung des technologischen Wandels bestimmt die Handlungsgeschwindigkeit.

  • Bestehende Unternehmen brauchen nebst einer digitalen Strategie8 Mitarbeiter, welche sich in der Bandbreite der neuen technischen Möglichkeiten auskennen und in der Lage sind, diese Mittel krea­tiv in der Weiterwicklung von Produkten und Dienstleistungen einzusetzen.

  • StartUps dagegen müssen keinen „Rucksack“ an bestehenden Produkten oder Dienstleistungen mit­tragen, sondern können sich anfänglich vollständig auf das Realisieren neuer Geschäftsideen konzen­trieren.

  • Geschwindigkeit ist Trumpf! Schnell ist das neue Gross!

  • Schneller technologischer Wandel benötigt andere Führungsqualitäten.

  • Kreative Mitarbeiter sind gefragt. Blosse „Pflichterfüller“ werden mittelfristig durch Technologie er­setzt.

  • Die Arbeitsstelle wie wir sie kennen, wird verschwinden. Agile Unternehmen und flexible Zusammen­schlüsse sind die Unternehmensformen der nahen Zukunft.

  • Nachdem bereits mehr als 50% der Weltbevölkerung Zugang zum Internet hat, können neue Produk­te und Dienstleistungen weltweit entwickelt (und verkauft) werden. Soziale und kulturelle Fä­higkeiten sind nebst Beherrschen von Englisch unabdingbar

Wissen und Fähigkeiten moderner Führungsleute

Mehr denn je müssen Führungsleute in naher Zukunft…

  • …in der Lage sein, die Folgen des raschen technischen Wandels für Ihre Branche zu erkennen und daraus die notwendigen Schritte abzuleiten;

  • …rasch eine SWOT-Analyse des Unternehmens machen und nötigenfalls digitale Strategien ent­wickeln;

  • …Unternehmenseinheiten agil führen, d.h. Geschwindigkeit kommt vor absoluter Qualität. Quali­tätsverbesserung erfolgt fortlaufend;

  • …Unternehmen und Mitarbeiter schlanker/flexibler zu organisieren und unmittelbarer zu führen.

  • …in der Lage sein, neue Produkte/Dienstleistungen, Arbeitsmodelle, elektronische Verkaufskanä­le, Projekte (rechtskonform) zu entwickeln und Kooperationen rechtlich verbindlich abzuschlies­sen.

1nach dem gleichnamigen Buch von McAfee und Brynjolfsson, 2014

2 Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, publiziert in der ZEIT, 1969

3Jeremy Rifkin, Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, 2014

4ITU/UNESCO: www.broadbandcommission.org/publications/Pages/SOB-2016.aspx

5http://news.ihsmarkit.com/press-release/34-billion-smartphones-ready-apple-pay-samsung-pay-and-android-pay-end-2017

6Schmidt Holger, Künstliche Intelligenz ist der Motor der digitalen Revolution, netzoekonom.de

7tensorflow.org / systemml.apache.org / dmtk.io / torch.ch

8MITSloan/Deloitte Management Review, Strategy, not Technology Drives Digital Transformation, 2015